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Tierarztmangel – so soll ihm begegnet werden

27.09.2022

Am 15. und 16. September 2022 hat in Berlin der 29. Deutsche Tierärztetag stattgefunden, das bedeutendste standespolitischen Treffen der deutschen Tierärzteschaft. Dazu reisten rund 300 TierärztInnen an, um in vier Arbeitskreisen zu verschiedenen Themen zu diskutieren und Forderungen an die Tierärzteschaft, Politik und Gesellschaft zu formulieren. Anschließend stimmten die Delegierten der beteiligten 17 Landes-/Tierärztekammern sowie anderer Organisationen über diese Forderungen ab. Zudem erarbeitete und verabschiedete der Arbeitskreis 2 „Gesunde Tiere für sichere Lebensmittel“ noch eine Resolution zum vom Bundeslandwirtschaftsministerium geplanten nationalen Antibiotikaminimierungskonzeptes . Dieses Bürokratiemonster behindere die tatsächliche tierärztliche Arbeit, so die Herausgeber BTK, bpt, BbT und DVG. Weiterhin werde es junge KollegInnen noch mehr abhalten, in die Praxis zu gehen. „Die tierärztliche Versorgung von Tierbeständen in der Fläche wird weiter verschlechtert, aber auch von Einzeltieren in den Städten zukünftig gefährdet! Wir fordern eine erhebliche Verringerung des administrativen Aufwands für Tierärzt:innen und keine Übernahme der jetzigen Meldeverpflichtung der Tierhalter:innen.“

Nachfolgend werden hier die Forderungen des Arbeitskreis 4 „Quo vadis Tierärzt:innen?“ vorgestellt, der sich u.a. auch mit dem Problem Tierarztmangel beschäftigt hat. Dieser bundesweit herrschende und sich in Zukunft weiter verschärfende Mangel an Tierärztinnen und Tierärzten bringt das Staatsziel Tierschutz und der Gesundheitsschutz (Lebensmittelsicherheit und Zoonosen) in Gefahr, so der Arbeitskreis.  

So zahlreich wie die Gründe für den Tierarztmangel sind, so unterschiedlich und vielfältig sind auch die Forderungen und Lösungsansätze.

Es fängt noch vor dem Studium an, dass das Image der Tierärzt:innen proaktiv geschärft und gestärkt sowie in all seinen Facetten dargestellt werden soll. Auch die Chance, die in Freiberuflichkeit liegt, sollte deutlicher gemacht werden, um die Richtigen für das Studium der Veterinärmedizin zu begeistern. In dieses Horn stößt auch die Forderung, die Zulassungskriterien zwischen den Fakultäten zu harmonisieren und den Numerus Clausus weniger stark zu gewichten. Fachspezifische Vorausbildung sollten (noch) mehr anerkannt und die alternative Studienplatzvergabe verstärkt genutzt werden (z.B. Auswahlgespräche).

Weiterhin müssen mehr veterinärmedizinische Studienplätze geschaffen und die Hochschulen / Universitäten finanziell und personell besser ausgestattet werden.  Zudem muss die Möglichkeit, sich gleichzeitig auf mehrere medizinische Studiengänge bewerben zu dürfen, wieder abgeschafft werden, um zu verhindern, dass Humanmedizin-Kandidaten die tiermedizinischen Studienplätze blockieren mit der Absicht, nach den ersten Semestern zu wechseln.  

Wichtige Schlüsselkompetenzen wie Praxismanagement, Kommunikation, Life Skills, Führungskompetenzen gehören in das Studium integriert und es sollte eine Aufwandsentschädigung für Praktikumsbetriebe (Amt, Praxis, Schlachthof…) eingeführt werden. Auch eine Entlohnung der Praktikanten durch den Betrieb wurde diskutiert. Einigkeit wiederum bestand in der Forderung, die Kenntnisprüfung für Tierärzt:innen aus dem Nicht-EU-Ausland bundesweit zu vereinheitlichen. 

Weiterhin sollten Tarifverträge geschlossen werden, um Flexibilisierung im Arbeitszeitrecht und Lohngerechtigkeit zu erreichen. Außerdem müssen die Gehälter an die Tarifentlohnung bzw. akademische Standards angepasst sowie Nacht- und Notdienstzuschlag, Arbeitszeitausgleich, Lohnzusatzleistungen konsequent angewendet werden. Gleichzeitig werden von der Politik Ausnahmemöglichkeiten im Arbeitszeitgesetz analog der Humanmedizin gefordert, um Personal entsprechend des versorgungsbedarfs einsetzen zu können. Auf der anderen Seite müssen auch von der Branche bessere Arbeitsbedingungen geschaffen werden. Hierzu gehören die Sicherstellung der Kinderbetreuung, Aufstiegsmöglichkeiten, sichere Dienstpläne, psychologische Unterstützung, Flexibilisierung der Arbeitszeit usw.

Für Einheiten mit mindestens 20 tierärztlichen Vollzeitäquivalenten sollte eine Notdienstpflicht 24/7 eingeführt und die Kompetenzen der TFA, Praxismanager:innen und anderer tierarztbegleitender Berufe gestärkt werden. Es muss eine sorgfältige Einarbeitung von Berufsanfängern und Wiedereinsteigern etabliert und der Wunsch nach Selbstständigkeit gefördert und gesichert werden. Ebenso müssen sich Arbeitgeber:innen durch Fortbildung mehr Führungskompetenzen aneignen.

Tierärzt:innen sollten zudem bei der Umsetzung des Tierschutzes (Meldungen von Tierschutzverstößen) unterstützt und geschützt werden, Digitalisierung und Prozessoptimierung vorangetrieben, Bürokratie abgebaut und Krankenversicherung für Tiere gefördert werden.

Als ebenfalls dringend notwendig werden Verbesserung und Intensivierung sowie Professionalisierung der Öffentlichkeitsarbeit nach innen und nach außen durchexterne (Medien-)Profis betrachtet. Das Image der Tierärzt:innen muss proaktiv geschärft, das Berufsbild in allen Facetten und in allen Medienformaten dargestellt werden. Die Statistik der Tierärzteschaft sollte unter Einbeziehung professionellen Sachverstandes erweitert und ausgewertet werden, um daraus Strategien u.a. gegen den Versorgungsmangel zu entwickeln. Zudem müsse die Wertschätzung für tierärztliche Leistung erhöht und tierärztliche Fachkompetenz im politischen Raum implementieren werden. Letzteres soll durch einen Runden Tisch mit allen tierärztlichen Institutionen und Verbänden erreicht werden, der dann im Jahr 2023 in einem „Tierarztgipfel“ im zuständigen Ministerium münden soll.

Viele der Forderungen stimmen mit denen im Wörlitzer Memorandum des Dessauer Zukunftskreises (DZK) festgehaltenen Punkten überein, weshalb die Delegierten auch für eine Unterstützung der vom DZK geplanten Kampagne „Versorgungssicherheit ist gefährdet“ unterstützen!

von. Dr. Julia Henning