Im Praktischen Jahr (PJ) im 9. und 10. Semester wählen sich die Studenten der Tiermedizin normalerweise den Schwerpunkt für ihr weiteres Berufsleben und wenden praktisch das an, was sie in den vier Jahren zuvor gelernt haben. Für Studenten des Abschlussjahrgangs 2021 wurde das notgedrungen zur Nebensache – mit dem Beginn der Corona-Krise in Deutschland Mitte März 2020 ging es nur noch darum, das Studium überhaupt in Regelzeit beenden zu können. Besondere Zeiten, die einzigartige Lösungen erfordern. Eine Reportage über organisatorische und rechtlichen Hürden, starke studentische Eigeninitiative und Einsatz der fertigen Tierärzte für die angehenden Kollegen.
Die neurologische Abteilung einer Kleintierklinik soll es sein. Das Zimmer in Berlin hat sie bereits untervermietet, eine neue Unterkunft am Praktikumsort ist gefunden, auch das Zugticket ist gebucht. Mitte März bekommt Julia Arnoldi plötzlich die Absage für ihr geplantes Praktikum. Der Grund: Die Corona-Kontaktbeschränkungen. „Das war frustrierend“, sagt die Tiermedizinstudentin rückblickend. Sie studiert im 10. Semester an der Veterinärmedizinischen Fakultät Berlin.
Das Praktische Jahr ist von Fakultät zu Fakultät leicht verschieden aufgebaut, abhängig davon, wie die Lehre in den vorherigen Studienjahren gestaltet war. Ein halbes Jahr Rotation durch alle Kliniken, dazu einige Schwerpunktkurse und die Pathologie „intramural“, also in den Mauern der Fakultät, ist ein Entwurf. Hinzu kommt ein halbes Jahr „extramurale“ Praktika.
An den Universitäten geht zunächst nichts mehr
Arnoldi und ihre Kommilitonen erreichen nun täglich neue Mails aus dem Dekanat: Donnerstag, 12.3., die Fakultät bestätigt den universitätsweiten Erlass – „alle Präsenzlehrveranstaltungen sind abgesagt“; Freitag, 13.3., „(…) in ihrem Interesse einen Eilantrag an das Präsidium gerichtet, mit der Bitte (…) eine Ausnahme für unsere Rotation zu erwirken“, die Aussichten auf Erfolg seien jedoch gering: „Wir raten Ihnen im eigenen Interesse, sich weiterhin für eine Fortsetzung der Rotation zur Verfügung zu halten, um ggf. kurzfristig wieder an die Universität zurückkehren zu können“; Dienstag, 17.3., „im nächsten Semester wird die Lehre bis auf Weiteres ausschließlich online sein“; Mittwoch, 18.3., „Wir gehen in den Präsenznotbetrieb“.Das heißt, nur absolut notwendiges Personal darf das Fakultätsgelände betreten. Studenten der Tiermedizin, die sich gerade in der klinischen Rotation oder im Praktikum an einem universitären Institut befinden, gehören nicht dazu und werden nach Hause geschickt.
Das Praktische Jahr ist die letzte große Hürde vor dem Staatsexamen. Wieviel Stunden in wieviel Wochen wo zu absolvieren sind und welchen Anforderungen der Praktikumsbetrieb zu genügen hat, ist in der Tierärztlichen Approbationsordnung (TAppV) genaustens festgehalten. Nur wenn alle Praktika nach den Maßgaben der staatlichen Verordnung absolviert wurden, wird der Student zu den Abschlussprüfungen im elften Semester zu gelassen.
Die Studenten sind verunsichert. Schnelle Entscheidungen müssen getroffen werden, um den Studienabschluss der aktuellen PJ-ler nicht zu gefährden. Die fünf Fakultäten bestreiten dabei unterschiedliche Wege: Am 20.3. sichert der Prodekan für Lehre an der Veterinärmedizinischen Fakultät in Leipzig (VMF), Prof. Johannes Seeger, allen seinen Studenten zu, wegen der Corona-Pandemie ausgefallene oder abgebrochene Praktika ersatzlos anzuerkennen. „Das hat die Studierenden dort natürlich gefreut, aber die TAppV-konformität war zu diesem Zeitpunkt noch nicht völlig geklärt“, erklärt Luise Grace Klass, Studentin im Praktischen Jahr in Berlin.
Einige Wochen pausiert die Lehre an fast allen der fünf Veterinärfakultäten in Deutschland komplett. Ende April geht immer noch nichts: „Seit sechs Wochen können wir aufgrund der Corona-Schutzmaßnahmen die klinische Rotation nicht einmal in Kleinstgruppen durchführen“, berichtet Prof. Jörg Aschenbach, Prodekan für Lehre am Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität Berlin.
Die Ausbildung ohne Präsenz weiterlaufen zu lassen, „schien am Anfang eine nicht zu meisternde Aufgabe“. Dann werden Lösungsansätze gefunden, die mit dem Homeoffice der Studenten zu vereinbaren sind. „Von einem Tag auf den anderen haben etwa unserer Pathologen die gesamte Rotation auf Online-Lehre umgestellt“, erzählt der Prodekan aus Berlin. Dort wird für einen Teil des klinischen Rotationsabschnittes „virtueller Ersatz“ erarbeitet, die praktische Lehre am Tier wird auf das Ende des Semesters verschoben. „Damit können wir die Zeit überbrücken, bis zu der wir wieder schrittweise zum Unterricht am Tier zurückkönnen.“
Erste Lösungsansätze: Online-Rotation oder 1:1-Betreuung
Die Online-Rotation in Berlin startet am 20.04. und kommt gut an, sagt Arnoldis Kommilitonin Luise Grace Klass. Sie befindet sich gerade in der Online-Rotation der Tierklinik für Fortpflanzung: „Ich habe mich voll gefreut, dass es überhaupt weitergeht. An anderen Standorten wurde das teilweise ersatzlos gestrichen.“ Sie sagt, es wird viel gutes Videomaterial verwendet und sieht darin einen Vorteil: „Manche Fälle, die ich so sehe, hätte ich in der Zeit an der Klinik vielleicht gar nicht gesehen.“
Zu dem Zeitpunkt, als in Berlin Studenten der Universität noch grundsätzlich fern bleiben müssen, darf in Gießen nun zumindest schon wieder ein Rotationsstudent je diensthabendem Tierarzt in die Klinik anstatt wie sonst in einer Kleingruppe Studierender. „Beim Wechsel zwischen zwei Kliniken gehen die Studierenden dann zunächst in zwei Wochen Homeoffice, wo sie Aufgaben bearbeiten“, erklärt der Studiendekan der Veterinärmedizinischen Fakultät Gießen, Prof. Stefan Arnhold, das Hygienekonzept. Er hat sich dafür eingesetzt, „den Studierenden diesen wertvollen Einblick dennoch ermöglichen zu können. „90 Prozent der Studierenden sind auch zufrieden mit dieser Möglichkeit. Es gibt jedoch auch Studenten, die Angst haben, dass sie sich und damit Angehörige zuhause anstecken könnten.“ Deshalb setze man auf maximale Flexibilität: Wenn jemand Bedenken habe, könne er sich auch komplett für eine Rotation im Homeoffice entscheiden.
Prof. Aschenbach bedauert die fehlende Praxis in diesem Universitätssemester: „Auch ein noch so gut gemachter Online-Unterricht kann eine solide Ausbildung am Tier nicht ersetzen. Letztere ist im Veterinärmedizinstudium unverzichtbar.“
Draußen sieht es schlecht aus
Für die Lehre an den Universitäten unter Corona-Beschränkungen haben sich also zunächst kreative und flexible Lösungen gefunden. „Mehr Kopfzerbrechen bereiten uns jedoch abgesagte Praktika“, sagt Prof. Thomas Göbel, Studiendekan an der Münchener Tiermedizinischen Fakultät.
Im zweiten „extramuralen“ Teil des Praktischen Jahres werden Schlachthof, amtliches Veterinärwesen und die Lebensmittelkontrolle an von den Studierenden selbstgewählten Institutionen außerhalb der Universität abgehakt – und natürlich die langersehnten zwölf Wochen kurativen Arbeitens in einer tierärztlichen Praxis oder Klinik absolviert. Von diesen zwölf Wochen können zudem bei Bedarf vier Wochen Wahlpraktikum für einen nicht-kurativen Schwerpunkt genutzt werden. Viele Studenten nutzen das Praktische Jahr normalerweise auch dafür, Auslandserfahrung zu sammeln, daran ist im Moment aber ohnehin nicht mehr zu denken, es gibt im Zuge der Corona-Krise bereits im Inland ausreichend Probleme:
Tierärzte werden aufgefordert, ihre Beatmungsgeräte für die intensivmedizinische Betreuung in Krankenhäusern bereitzuhalten. Veterinärmedizinische Labore sollen die Diagnose von Sars-CoV-2 unterstützen. Es besteht die Sorge, dass auch Haustiere sich anstecken könnten. Es mangelt an Schutzkleidung und Desinfektionsmittel. Dürfen Tierarztpraxen weiterhin geöffnet bleiben? Der Bundesverband der praktizierenden Tierärzte (bpt) kämpft bei der Regierung darum, Tierärzte als systemrelevant einzustufen. Der Praxisalltag verändert sich: Mitarbeiter sollen sich möglichst nicht mehr begegnen, Tierbesitzer müssen draußen bleiben, planbare Behandlungen sollen verschoben werden, Landwirte dem Tierarzt nicht zu nahe kommen. Tierärzte „im Feld“ sind unsicher, wie sie diese Kontaktbeschränkungen und neu geltende Hygieneregeln mit Studenten in Einklang bringen können. Der bpt empfiehlt: lieber nicht. Die wirtschaftlichen Sorgen und das Risiko der Schließung der Praxis im Falle eines Viruseintrages sind groß. Aus der Not heraus entscheiden sich viele Praktiker gegen die Studenten.
Die zunehmenden staatlichen Bemühungen, die Ansteckungsrate mit dem neuartigen Coronavirus gering zu halten, erschweren auch die Bedingungen für tiermedizinische Pflichtpraktika in der Fleischhygiene und Lebensmittelüberwachung sowie dem amtlichen Veterinärwesen. Außer- und innerdeutsche Reisebeschränkungen werden erlassen. Wer nicht unbedingt das Haus verlassen muss, soll in der Wohnung bleiben, Homeoffice ist das Gebot der Stunde. Am Schlachtband, wo die Praktikanten die Schlachttieruntersuchung lernen sollen, geht das nicht, Abstandsregelungen sind hier aber kaum einzuhalten. Schlachthöfe sollen später als „Corona-Hotspots“ bezeichnet werden. Gastronomiebetriebe und öffentliche Einrichtungen schließen. Typische Tätigkeiten der Praktikanten in der amtlichen Lebensmittelkontrolle, wie „Rückrufüberwachungen, Probenahmen und Vorortkontrollen können eben nur situationsbedingt vermittelt werden“, so der Präsident des Bundesverbandes der beamteten Tierärzte (BbT), Dr. Holger Vogel. Absagen an Praktikanten erfolgen „aus Gründen der Unsicherheit“. Auch Arnoldi trifft es. Das Berliner Bezirksamt versichert, sie zu berücksichtigen, sobald Praktikanten wieder zugelassen sind. Das werde vermutlich im Juli bis September der Fall sein, wird ihr gesagt. „Aber das muss dann zeitlich auch wieder mit den anderen Praktika passen“, bemerkt Arnoldi, die sich im Bundesverband der Veterinärmedizinstudierenden Deutschlands (bvvd) berufspolitisch engagiert. Eine fristgerechte Absolvierung aller geforderten Praktika bis zum Beginn der Staatsexamensprüfungen im Herbst rückt damit weiter in die Ferne.
Praktikumsplätze sind Mangelware
Die Organisation des praktischen Jahres ist bereits in Nicht-Krisenzeiten eine Hürde. Die Gründe dafür werden mit Covid-19 zu einem riesigen Problem. Zum einen ist da die straffe Taktung: Maximal vier (mancherorts acht) Wochen Luft sind vorgesehen, das heißt, die Praktikumszeiträume müssen genau in einander greifen.
Zum anderen besteht insbesondere für das Schlachthofpraktikum ein massiver Mangel an Praktikumsplätzen, was eine Planung des Praktischen Jahres weit im Voraus nötig macht.
„Das Schlachthofpraktikum war schon immer schwierig und ist es jetzt natürlich umso mehr“, bestätigt Studiendekan Göbel für München: „Das mag an den anderen Standorten anders gewesen sein, aber mit 300 Studenten pro Jahrgang und ohnehin zu wenig Schlachthöfen, bei denen man sich zwei Jahre im Voraus melden muss, um überhaupt einen Platz zu bekommen und die dann teilweise plötzlich schließen… Das ist ohnehin schon lange nicht mehr vertretbar und sollte überdacht werden. Vielleicht ist die jetzige Situation der Anlass dafür.“
Einen abgesagten Schlachthofpraktikumsplatz innerhalb weniger Wochen zu ersetzen, ist also ein Ding der Unmöglichkeit. Göbel stellte Online-Ersatzangebote aus den Universitätsinstituten in Aussicht.
Um solche Ersatzangebote für ausgefallene extramurale Praktika bemühte sich nicht nur München. Arnhold berichtete etwa von Anfragen beim Regierungspräsidium Hessen: „Der dortige Bereich Veterinärwesen wäre bereit, Fälle zur Bearbeitung zur Verfügung zu stellen und die Bearbeitung zu betreuen. Wir könnten dann – falls im Oktober wieder Präsenzveranstaltungen möglich sind – Wochenendunterricht für die anbieten, die diese Praktika bis dahin wirklich nicht aufholen konnten.“
Solidarisierung der Verbände und studentische Eigeninitiative
Der Präsident des Bundesverbands der beamteten Tierärzte (BbT), Holger Vogel, bittet seine Amtskollegen am 5.4. darum, Studierende der Veterinärmedizin bei der Absolvierung ihrer Pflichtpraktika zu unterstützen.
Praktikumsplätze sind in Corona-Zeiten für Tiermedizinstudenten Mangelware, fertige Tierärzte sind es in Deutschland seit vielen Jahren. Die rund 900 angehenden Absolventen, die sich derzeit im Praktischen Jahr befinden, sind auf dem Arbeitsmarkt im kommenden Jahr nicht entbehrlich. Mit dieser Begründung alamiert der Veterinärmedizinische Fakultätentag den Bundesverband der Praktizierenden Tierärzte (bpt). Nun bittet also auch dieser am 17.4. seine Mitglieder darum, Studierenden ihre Praktika zu ermöglichen, denn „spätestens, wenn die Krise vorbei ist, wird unser Berufsstand doch wieder unter den Folgen des sich in den letzten Jahren zugespitzten Tierärztemangels zu leiden haben“. Der Verband erstellt zu Unterstützung der Studierenden eine Liste noch freier kurativer Praktikumsplätze. 70 Praxen zeigten freie Plätze an. Die Idee dazu kam aufgrund einer Initiative der Berliner Studentin Luise Grace Klass.
„Wir wollen, dass kein Student wegen fehlender Praktika aufgrund der Pandemie sein Studium nicht in Regelstudienzeit absolvieren kann“, sagt Aschenbach, „den wichtigsten Beitrag dazu leisten die Studierenden selbst, die sehr gut organisiert und vernetzt sind und sich hier untereinander helfen, dass möglichst viele Praktika realisiert werden können.“
Die Vizepräsidentin für Lehre der Tierärztlichen Hochschule Hannover, Prof. Andrea Tiphold, erklärt, man wolle bis August erstmal sammeln, wen es überhaupt beträfe. Erst Ende des Semesters könne man dann abschließend sagen, ob alle Studierenden ihr Studium in Regelstudienzeit abschließen könnten. Ende April sei in Hannover die Ansage gekommen, dass ausgefallene Praktika nachgeholt werden müssten. Zu diesem Zeitpunkt sind jedoch bereits wertvolle Wochen verstrichen und ein Aufholen ist nicht mehr möglich. „Das löste Panik bei den Studierenden aus“, berichtet Studentin Luise Grace Klass.
Telefonaktion: Wo ist überhaupt noch was frei?
Dass ein Student den Puffer von vier bis acht Wochen jeden Praktischen Jahres Ende April noch übrig hat, sei unrealistisch, sagt Klass; die Suche nach noch freien Praktikumsplätzen ist ohnehin schwierig: Bei manchen Studenten spielt die örtliche Bindung aufgrund festem Nebenjob, fehlender Kinderbetreuung, fehlendem PKW oder fehlendem Geld für eine auswärtige Unterkunft eine Rolle. Des Weiteren: Unwissenheit darüber, wo, insbesondere bei den amtlichen Stellen, überhaupt Praktikanten genommen werden. Eine aktuelle bundesweite Liste dafür gibt es für kaum einen Bereich der extramuralen Praktika, die Suche läuft zumeist individualisiert.
Klass ist selbst nicht von Praktikumsabsagen betroffen, will ihren Kommilitonen aber helfen. Es gilt schnell einen Überblick zu gewinnen, wo zeitnah zumindest im amtlichen Veterinärwesen noch Praktikumsplätze frei sind. Sie erstellt eine Liste von 378 Veterinärämter in Deutschland, bei denen sie mit der Unterstützung ihrer Kommilitonen ab dem 14.4. telefonisch die Ressourcen abfragen will. Über den bvvd gewinnt sie für die Telefonaktion bundesweite Beachtung. „Ich war platt, wie viele Helfer sich innerhalb weniger Tage fanden“, berichtet die Zehntsemestlerin. Darunter Studenten aus allen fünf deutschen Standorten und auch von der Wiener Fakultät. „Das waren nicht nur betroffene Studierende im Praktischen Jahr. Viele hatten ohnehin gerade Zeit und waren froh, etwas tun zu können. Da war eine große Solidarität.“
Mit so gewonnen rund 60 Helfern ist die Sache in zwei Tagen geklärt, die Angerufenen hätten sich „über die positive Initiative gefreut“, so Klass. Das Ergebnis: „Mehr als 50 Ämter haben noch freie Plätze, Schlachthöfe leider gar nicht mehr.“ Die daraus entstandene Liste mit Infos zur Verfügbarkeit von Praktikumsplätzen auf dem Amt helfe vielen Studenten und soll für zukünftige Jahrgänge aufrechterhalten werden. Klass weist in diesem Zusammenhang auch auf „absurde Anforderungen“ mancher Ämter insbesondere in Bayern und Baden-Württemberg hin, die nur „Studenten aus der Region“ nehmen würden.
Theorie statt Praxis, aber wenigstens etwas
Arnoldi ist froh, zumindest Rotation und Schlachthof schon hinter sich zu haben und hat sich damit abgefunden, dass sie ihre klinischen Erfahrungen nicht in den Fachabteilungen sammeln kann, auf die sie sich gefreut hatte. Sie bringt es auf den Punkt, indem sie ihren Kommilitonen rät: „Versucht jetzt einfach irgendwie euer PJ zu machen. Das sind eben höhere Mächte.“ Sie selbst absolviert in der durch Absagen frei gewordenen Zeit ein Online-Ersatzpraktikum am Institut für Veterinär-Physiologie, dessen Leiter Studiendekan Aschenbach ist.
Das Angebot ist in Berlin in Zusammenarbeit von mehreren Instituten als Ersatz für ausgefallene kurative Praktika eingerichtet wurden. Von 100 so geschaffenen Plätzen hatten sich ursprünglich 50 Studierende angemeldet, berichtet Aschenbach, „aber erfreulicher Weise haben nun auch schon wieder etwa 20 abgesagt, weil sie doch kurative Praktika gefunden haben.“ Statt Praxis Textarbeit, „um zumindest einige Stunden zu sammeln“, sagt Arnoldi, die dennoch froh ist: „Natürlich wäre es cooler im Labor zu stehen und PCRs zu machen oder praktisch am Tier zu arbeiten, aber das ist ein super Angebot und nimmt ordentlich den Druck raus.“
Ersatzangebote: Ist das rechtens?
Dabei stehen die Bemühungen um Ersatzangebote stets unter der vagen Angst, dass die zuständigen Staatsministerien der Länder diese nicht TAppV-entsprechend ablehnen könnten.
„Wir haben ein Konzept von Ersatzausbildungen für die ausgefallenen Praktika im öffentlichen Bereich definiert und mit dem LAGeSo abgestimmt. Die TappV erlaubt in § 23 Abs. 2 bzw. § 31 Abs. 1 Satz 3 eine ‚von der Universität anerkannte Ersatzausbildung‘ für Praktika. Damit können wir unter den besonderen Bedingungen der COVID-19-Pandemie ausgefallene extramurale Praktika unter Wahrung der Regelungen der TAppV zumindest in einem gewissen Umfang ersetzen“, erläutert der Berliner Studiendekan. Das Konzept glückt. Am 5.5. bestätigt das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) die TAppV-Konformität. Es beinhaltet jedoch den Hinweis, dass es Probleme bei der Anerkennung von Ersatzleistungen mehrerer Praktika geben könnte. Weiterhin ist in Berlin deshalb die Ansage, sich „intensiv um Praktikumsplätze zu bemühen“.
Der Bundesverband der Veterinärmedizinstudierenden Deutschland e.V. (bvvd) fordert in einer Stellungnahme zum 1. Mai „flexible, schnelle und national einheitliche“ Lösungen, „um zu verhindern, dass sich durch verschobene Prüfungstermine und abgesagte Praktika, der Abschluss des Studiums verzögert“. So sollen Erleichterung und Planungssicherheit für die Studierenden erreicht werden. Klass schlägt vor, eine bundesweite „Corona-Klausel“ in die TAppV aufzunehmen, damit Studierenden im Herbst pandemiebedingt ausgefallene Praktika, die sie trotz aller Bemühungen nicht haben nachholen können, bei der Zulassung zum Staatsexamen erlassen werden.
In Leipzig ging man diesen radikalen Weg: Die Legitimierung für den „Leipziger Weg der VMF“ durch das Sächsische Staatsministerium soll im Mai abschließend erfolgen, so Prodekan Seeger: „Ich bin froh darüber, es war eine große Entscheidung, anderenfalls hätten die Studierenden ein Jahr verloren.“ In einer Notsituation wie dieser, in der grundlegende Bürgerrechte beschränkt werden, müsse man auch an der Universität flexible Entscheidungen treffen, schließlich sei absehbar gewesen, dass nicht mehr genügend Praktikumsplätze verfügbar waren. „Das geht. Was nicht geht, sind zwei Jahrgänge nebeneinander.“
Dieser Meinung ist auch Studiendekan Arnhold aus Gießen: Natürlich hätten alle Studenten die Möglichkeit, freiwillig ein Jahr anzuhängen, wenn sie die verpassten Erfahrungen nachholen wollen würden. „Aber damit ist auch keinem geholfen, zum Beispiel wenn wir dadurch dann im nächsten Jahr doppelt so viele Studierende betreuen und prüfen müssen.“
Zuversicht
Der Einsatz der Fakultäten und Verbände ist groß. Ein Rest Unsicherheit bleibt bei den Veterinärmedizinstudierenden, die ihren Abschluss im Frühjahr 2021 anstreben, aber dennoch. Für Arnoldi geht es mittlerweile wieder bergauf: Aus der Kleintierklinik kam doch noch grünes Licht für ihr Praktikum und auch sonst ist sie zuversichtlich: „Ich habe das Gefühl, in Berlin gut aufgehoben zu sein. Von Anfang an wurde uns kommuniziert, dass von uns auch viel Eigenverantwortlichkeit gefordert wird. Ich habe ein großes Vertrauen in den Fachbereich, dass wenn im September was fehlt, das irgendwie gelöst wird und wir trotzdem zu unseren Staatsexamensprüfungen antreten können.“
Sophia Neukirchner
Transparenzhinweis: Die Autorin ist zum Zeitpunkt der Erscheinung des Artikels Doktorandin an der Tierklinik für Fortpflanzung der Veterinärmedizinischen Fakultät Berlin
Leseempfehlung: Die Corona-Pandemie beeinflusst nicht nur die Lehre im Praktischen Jahr. Für Studenten aller Semester erfolgt die Lehre aufgrund der Corona-Pandemie bis auf weiteres überwiegend digital. Wie die verschiedenen tiermedizinischen Fakultäten diese Herausforderung meistern, lesen Sie in Interviews Digitales Semester Tiermedizin“>Interviews mit Professoren und Studenten aus Leipzig, Berlin, Hannover, München und Gießen.