Auf Initiative des Dessauer-Zukunftskreises (DZK) ist es im Wintersemester 2020/2021 gelungen an der Veterinärmedizinischen Fakultät (VMF) der Universität Leipzig einen Wahlpflichtkurs Digitalisierung in der Veterinärmedizin zu etablieren. Der erste Wahlpflichtkurs dieser Art an einer veterinärmedizinischen Bildungseinrichtung in Deutschland überhaupt. Vetion.de interviewte dazu Gastdozent Tobias Knopf von der Hochschule Anhalt und Studiendekan Prof. Dr. Johannes Seeger.
Vetion.de: Herr Knopf, als wie wichtig empfinden Sie aus der momentanen Betrachtung das Thema Digitalisierung in der Veterinärmedizin und warum sind Sie der Experte für dieses Thema?
Knopf: Der durch die Digitalisierung beschriebene wirtschaftliche und gesellschaftliche Wandel durchdringt alle Branchen. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hochschule Anhalt beschäftige ich mich intensiv mit den Ursachen, Entwicklungen, Chancen und Herausforderungen dieser digitalen Transformation und widme mich insbesondere den Themen digitale Kompetenzen und Digitalisierung von Aus- und Weiterbildung.
Seit 2014 setze ich mich verstärkt mit den Entwicklungen in der Veterinärmedizin auseinander. Als Consultant für digitale Kommunikation berate ich seitdem sowohl praktizierende Tierärzte als auch Partner aus der Tiergesundheitsbranche. Immer wieder begegnet mir dabei das Paradoxon, dass die Veterinärmedizin in diesem globalen Prozess für sich die Sonderstellung beansprucht, nicht oder unvergleichbar von disruptiven Geschäftsideen, neuen Arbeitsmodellen oder neuen Wertschöpfungsprozessen betroffen zu sein. Als wäre die Veterinärmedizin ein eigener Planet und niemand besäße eine Rakete, um dort zu landen.
Dem ist natürlich nicht so. Viel mehr ist auf dem Planeten Veterinärmedizin besonders viel Platz und Entfaltungsmöglichkeit für Akteure, die Erfahrungen und Wissen in anderen Branchen sammeln konnten, die bereits digitalisierter sind. Viele Vertreter der Veterinärmedizin haben es versäumt selbst diese Chancen zu ergreifen. Statt diesen Fakt zu akzeptieren und auf den fahrenden Zug aufzuspringen, versuchen insbesondere Praktiker den Zug zu stoppen, indem sie sich unbeholfen vor diesen werfen.
Natürlich ist das Schwarzmalerei, es gibt auch die Gegenbeispiele, die Chancen für sich und ihr Geschäft entdeckt haben. Das vergessen praktizierende Tierärzte gerne: Eine Praxis oder Klinik ist eine Unternehmung, die sich dem Wettbewerb zu sehr ähnlichen aber auch konkurrierenden Geschäftsmodellen stellen muss. Das höchste Ziel mag das Tierwohl sein. Das kann aber nicht erreicht werden, wenn eine Klinik sich nicht gegen Substitute behaupten kann, ob das nun andere Kliniken oder digitale Plattformen sind.
Vetion.de: Verraten Sie mir mehr darüber, wie es dazu kam und was Ihr persönlicher Antrieb war, solch einen Wahlpflichtkurs zu planen und umzusetzen?
Knopf: Seit 2015 stehe ich im engen Austausch mit dem Dessauer Zukunftskreis (DZK), der sich durchaus visionär und kritisch mit aktuell und zukünftig relevanten Themen für die Veterinärmedizin auseinandersetzt. Auch im DZK hat man die Einflüsse externer Strukturtreiber und die durch die Digitalisierung zunehmende Innovationsgeschwindigkeit in der Branche wahrgenommen. Durch den Kontakt mit Fr. Dr. Julia Henning und Hubertus Keimer vom DZK kam es Anfang 2020 zu einer Studie, in der die digitale Kompetenz von Akteuren der Branche und deren Einstellung zur Digitalisierung messbar werden sollte. Der Zeitpunkt ist spannend, weil wir so zufällig einen unverfälschten Blick auf die Digitalisierung der Branche exakt vor der COVID-19-Pandemie erlangen konnten. Dieser Gradmesser zeigte bereits vor der Pandemie, dass insbesondere in der Aus- und Weiterbildung von werdenden und praktizierenden Tierärzten Bedarf an digitalen Kompetenzen besteht.
Durch die Kontakte des DZK zur Universität Leipzig, hier im speziellen zu Prof. Johannes Seeger, Prof. Gotthold Gäbel und Prof. Walter Brehm, konnte im dritten Fachsemester ein Wahlpflichtmodul für Studierende initiiert werden, welches sie auf die neuen Herausforderungen durch die Digitalisierung vorbereitet.
Vetion.de: Wie war die Resonanz auf diesen Kurs und wie würden Sie ihn selber beurteilen?
Knopf: Die Studierenden haben durchweg positives Feedback für die erste Durchführung des Moduls gegeben. Insbesondere haben sie die Gastvorträge von Akteuren aus Praxis und Industrie wie Dr. Rolf Nathaus von Farmtool und Hubertus Keimer von Laboklin sowie die Interaktivität des Kurses hervorgehoben. Eine Herausforderung, da der Kurs pandemiebedingt ausschließlich digital stattgefunden hat und ich dennoch den geplanten Workshop-Charakter erhalten wollte. Frontalunterricht funktioniert online noch schlechter als offline. Aber wie könnte man besser digitale Kompetenzen gewinnen als durch die direkte Anwendung? Ich selbst bin mit dem Ergebnis des Kurses ebenfalls höchst zufrieden. Interaktivität funktioniert nur, wenn die Studierenden aktiv mitarbeiten. Hier könnte ich den Teilnehmerinnen und Teilnehmern kein größeres Lob aussprechen. Am Ende des Kurses entstanden zwei völlig neue Geschäftsideen für praktizierende Tierärzte, die von den Studierenden entwickelt wurden und durchaus die Chance zur Marktreife hätten.
Sowohl die Studierenden als auch ich mussten jedoch feststellen, dass 14 Stunden zu wenig für einen Ritt durch dieses komplexe Themengebiet sind. Darauf wurde vom Studiendekan reagiert und die Anzahl der Stunden für das Wahlpflichtfach im Wintersemester 2021/2022 verdoppelt. Die Studierenden des dritten Fachsemesters und ich haben so die Möglichkeit, noch intensiver Methoden zur Bewältigung der digitalen Herausforderungen zu betrachten und diese bei gleichbleibender Interaktivität des Kurses auch direkt anzuwenden.
Vetion.de: Welche Themen werden Sie in diesem umfangreicheren Wahlpflichtkurs behandeln und wird dieser Kurs in jedem Falle als Online-Veranstaltung stattfinden oder ggf. auch vor Ort an der Uni?
Knopf: Im Modul lernen die Studierenden nicht Facebook-Seiten oder Newsletter zu erstellen. Technologien ändern sich so schnell, dass dieses Wissen bereits überholt wäre, wenn die Studierenden es benötigen. Viel mehr versuche ich den Studierenden das Handwerkzeug mitzugeben, um sich selbst strategisch mit den jeweils aktuellen Technologien und Trends auseinandersetzen zu können. Dabei analysieren wir Schlüsselfaktoren der Digitalisierung wie beispielweise künstliche Intelligenz, smarte Assistenten, Big Data, digitale Ökosysteme, Plattformen, aber auch demographischer Wandel und New Work Models.
Ob der Kurs ausschließlich online stattfinden wird, kann ich heute noch nicht sagen. Angestrebt wird es nicht. Sowohl Online- als auf Offline-Lehre haben ihre Vor- und Nachteile. Letztendlich steht der Lernerfolg der Studierenden im Vordergrund. Diesen halte ich bei einer sinnvollen Mischung aus Online und Offline für am größten. Falls es möglich ist, werden wir uns also unbedingt vor Ort treffen. Darüber hinaus wird die digitale Kollaboration weiterhin integraler Bestandteil des Kurses sein.
Vetion.de: Warum sollten Studierende der Veterinärmedizin in jedem Fall diesen Wahlpflichtkurs belegen, was nehmen die angehenden Tierärztinnen und Tierärzte daraus mit für Ihr Berufsleben?
Knopf: Nach Besuch des Moduls verstehen die Studierenden die Zusammenhänge zwischen den Faktoren der Digitalisierung und deren Auswirkungen auf die Veterinärmedizin besser. Zudem können sie selbst Strategien zur Nutzung dieser Einflüsse für ihre spätere Tätigkeit konzipieren. Somit sind sie gut vorbereitet, um eine Tierarztpraxis oder -klinik mit Kundenorientierung und Leistungsinnovationen wettbewerbsfähig zu gestalten. Falls die Studierenden keiner praktizierenden Tätigkeit nachgehen möchten, können sie dieselben Methoden beispielsweise in einem Tiergesundheitsunternehmen anwenden.
Lieber Herr Knopf, das klingt alles sehr spannend und schlüssig. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei der Umsetzung des Wahlpflichtkurses!
Abschließend möchte ich noch den Studiendekan Prof. Dr. Johannes Seeger zwei Fragen dazu stellen.
Vetion.de: Lieber Herr Prof. Seeger, Sie haben die Etablierung des Wahlpflichtkurses sehr unterstützt und an der VMF ermöglicht. Wie lautet Ihr Fazit für den 1. Wahlpflichtkurs und die weiteren Pläne?
Prof. Seeger: Ich habe Herrn Tobias Knopf im Sommer 2020 bei einem Treffen des DZK kennengelernt. Herr Knopf hat die Ergebnisse einer Studie „Stand der Digitalisierung in der tierärztlichen Praxis“ der Industrie und an den Universitäten vorgestellt. Die Präsentation der Daten und die Diskussion waren professionell und Perspektiven der Digitalisierung in der Veterinärmedizin wurden aufgezeigt. Im Januar 2021 habe ich für Tobias Knopf einen Lehrauftrag an der VMF für einen Wahlpflichtkurs zur Digitalisierung in der Veterinärmedizin im Fakultätsrat beantragt. Der erste Kurs war mit 15 Studierenden gut besucht. Das Feedback der Teilnehmer ist sehr positiv. Tobias Knopf und eingeladene Gastdozenten haben es verstanden, die Digitalisierung in der Vorklinik, im 3. Fachsemester, so spannend und lebendig darzustellen, dass die Teilnehmer des Kurses eine Erweiterung auf 28 h Wahlpflicht angeregt haben. Im Frühjahr 2021 habe ich mit Herrn Knopf diese Option diskutiert und für das WS 2021/22 vereinbart. Damit ist das Wahlpflichtfach Digitalisierung in der Veterinärmedizin im Curriculum der Leipziger Veterinärmedizinischen Fakultät fest implementiert.
Vetion.de: Wie sehen Sie die Zukunft der Digitalisierung in der Veterinärmedizin und an der Uni Leipzig?
Prof. Seeger: Die Digitalisierung in der Veterinärmedizin hat durch die Corona-Pandemie einen wichtigen Input und den dringend notwendigen Ausbau erfahren. Das betrifft sowohl die Ausstattung der Hörsäle und zentralen Kursräume mit moderner Technik für die hybride Lehre, die Einführung von professionellen Zoom-Lizenzen für alle Lehrenden und den weiteren Ausbau der Zentralen Teaching Plattform, Core Unit Virtuelle Mikroskopie, an der VMF aber auch an der Medizinischen Fakultät und der Fakultät für Lebenswissenschaften, in der Biologie. Die Universität Leipzig hat ein Projekt zur Künstlichen Intelligenz beim BMBF zur Begutachtung eingereicht. Ein Teilprojekt wurde von mir beantragt und soll die Digitalisierung an der VMF weiter voranbringen. Die verstärkte Einführung digitaler Lehrformate soll dazu beitragen, den Lernerfolg bei den Studierenden zu verbessern. Die Präsenzlehre ist jedoch in der Vorklinik und Klinik unverzichtbar, um nach TAppV Tierärztinnen und Tierärzte auszubilden. Das darf auch unter den Einschränkungen der Pandemie nicht in Vergessenheit geraten. Die Nutzung digitaler Lehrformate wird auch nach der Pandemie ein unverzichtbarer Anteil der Ausbildung an der VMF und der Universität Leipzig sein. Ich freue mich sehr, dass wir mit dem Wahlpflichtkurs Digitalisierung in der Veterinärmedizin als erste Veterinärmedizinische Bildungseinrichtung in Deutschland dieses Fach in das Curriculum integriert haben.
Vielen Dank Prof. Seeger für diese Einblicke!
Aktuelle Nachrichten zur Digitalisierung der Veterinärmedizin finden sich gesammelt unter diesem Fokusthema.
Einen Artikel zum Wahlpflichtkurs Digitalisierung erscheint auch im Veti-Kalender 2021/22.