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„Die Hilfsbereitschaft für Menschen und Tiere ist sehr groß“

11.03.2022
Landestierschutzbeauftragte für Berlin,
Dr. Kathrin Herrmann (Foto: privat)

In Berlin kommen aktuell die mit Abstand meisten Geflüchteten aus der Ukraine an. Nicht wenige haben ihre Haustiere dabei. Die Landestierschutzbeauftragte Dr. Kathrin Herrmann spricht im Interview über die Hilfsbereitschaft der Tierärzteschaft, wichtige Kontakte und was PraktikerInnen und Helfende jetzt im Umgang mit Tieren aus der Ukraine beachten müssen.

Vetion.de: Wie ist die Versorgung von ankommenden Tieren
geflüchteter Menschen in Berlin bisher organisiert?

Herrmann: Bisher gibt es einen Stand am Hauptbahnhof, wo eine Gruppe von ehrenamtlichen Helfer:innen (inkl. Tierärzt:innen) Tierfutter, Katzenstreu, Decken, Leinen und andere Bedarfsgegenstände verteilen. Diese Initiative namens „IRINA“ wurde von Tierärztin Dr. Regina Korth und ihrem Freund ins Leben gerufen. Sie sagte mir, dass sie bereits aus 20 bis 25 Tierarztpraxen aus Berlin und Brandenburg gebrauchte Transportboxen und Futterspenden erhalten hat. Die Spendenbereitschaft der Kolleg:innen ist großartig! Es sind außerdem eine Reihe von Tierschutz-NGOs sowie die Berliner Tierärztekammer und viele Freiwillige dabei, Weiteres zu organisieren, wie z.B. Unterkünfte für Tiere und ihre Menschen sowie medizinische und sonstige Versorgung. Die Hilfsbereitschaft für Menschen und Tiere ist sehr groß.

Wird es eine zentrale tierärztliche Behandlungsstelle/Registrierungsstelle für diese Tiere geben?

Ja, am Samstag (12. März 2022, Anm. d. Red.) wird die zentrale Registrierungsstelle am ehemaligen Flughafen Tegel eröffnet. Dort wird es dann sowohl einen mobilen Tierarztservice (organisiert von der Berliner Tiertafel e.V.) als auch einen Stand mit allen möglichen Bedarfsgegenständen inkl. Futter und Transportboxen für Tiere (organisiert vom Tierschutzverein für Berlin und Umgebung Corp e.V. /Landesverband des Deutschen Tierschutzbundes e.V./ Tierheim Berlin) geben.

Die Hilfsbereitschaft der Tierärzteschaft ist groß. Es haben sich schon eine ganze Reihe von Kolleg:innen gemeldet, die kostenfrei Tiere behandeln wollen. Der Vorstand der Berliner Tiertafel e.V. hat Google Maps mit allen Tierärzt:innen, die pro bono Tiere von Geflüchteten behandeln, gefüllt (Liste).

Der Fachbereich Veterinärmedizin der FU Berlin hat mir gestern Abend mitgeteilt, dass er auch kostenfrei Tiere von Geflüchteten behandeln wird, ebenso wie die Tieräzt:innen des Berliner Tierheimes. Ebenso erreichen die Berliner Tierärztekammer und meine Stabsstelle vermehrt E-Mails und Anrufe von Menschen, inkl. Tieräzt:innen, die helfen wollen. Mein Team unterstützt bei der Koordination der Helfer:innen und bei der Suche von Unterkünften, in denen auch Tiere willkommen sind.

Besteht Bedarf an TierärztInnen und wohin können sich diese wenden?

Ja, es gibt immer Bedarf an Tierärzt:innen. Sie können sich entweder an die Tiertafel wenden (berlin@tiertafel.org) an meine Stabsstelle (tierschutzbeauftragte@senjustva.berlin.de) oder die Tierärztekammer (battenfeld@tieraerztekammer-berlin.de). Entweder können sie ihre Praxis mit in die Liste der pro bono behandelnden TÄ aufnehmen lassen oder sie können den mobilen Tierärzt:innendienst am ehem. Flughafen Tegel unterstützen. Sinnvoll wäre sicher auch, dass die größeren Unterkünfte für Geflüchtete angefahren werden und die Tiere dort vor Ort versorgt werden. Wir werden eruieren, wie man die Menschen mit Tieren am besten erreicht.

Wie sollen sich praktizierende TierärztInnen verhalten, denen ein Tier aus der Ukraine vorstellig wird?

Praktizierende Tierärzt:innen sollten die Tiere untersuchen und behandeln, insbesondere sollte die Kennzeichnung und Impfung ungeimpfter Hunde, Katzen und Frettchen mit zugelassenem Tollwutimpfstoff (nicht gekennzeichnete Tiere gelten grundsätzlich als ungeimpft) und die Ausstellung eines Heimtierausweises erfolgen. Bei Hunden, Katzen und Frettchen, die zum Zeitpunkt der Einreise bereits geimpft sind, sollte eine Tollwut-Titerbestimmung gemacht werden.

Aufgrund der Annahme, dass Geflüchtete z.T. in andere EU-Länder weiterreisen, wird die Ausstellung eines EU-Heimtierausweis empfohlen. Nach der Impfung wird eine mindestens 21-tägige Beobachtung durch das Veterinäramt als flankierende Maßnahme angesehen. Unter anderem aus diesem Gründen sollen die praktizierenden Tierärzt:innen die Veterinärämter über vorgenommene Impfungen umgehend informieren. Die Tierärztekammer Berlin hat hier eine Mitteilung per E-Mail vorgeschlagen, was sicherlich der machbarste Weg ist, um die Veterinärämter zeitnah zu informieren. Es kann meines Erachtens den Geflüchteten nicht zugemutet werden, dass sie selbst beim Veterinäramt vorstellig werden. 

Auszug aus dem sich im Anhang befindlichen Dokument Veterinärfachliche Maßnahmen Heimtiere: 

Die praktizierenden Tierärzte und Tierärztinnen werden gebeten, Tierbesitzer an das für den Haltungsort zuständige Bezirksamt, Fachbereich Veterinär- und Lebensmittelaufsicht zu verweisen. Kennzeichnung und Impfung von Tieren sowie Blutentnahmen für Titerbestimmungen können grundsätzlich erfolgen, wenn die zuständige Veterinärbehörde darüber unverzüglich in Kenntnis gesetzt wird. Nähere Auskünfte erteilt die zuständige Veterinär- und Lebensmittelaufsicht. https://www.berlin.de/sen/verbraucherschutz/service/veterinaer-und-lebensmittelaufsichtsaemter/


Wie müssen sich Helfer verhalten, die vorübergehend Tiere aus der Ukraine aufnehmen oder mit Ihnen Kontakt haben mit Blick auf die Seuchenhygiene?

Da nach der Impfung eine 21-tägige Beobachtung in Form einer häuslichen Quarantäne für Hunde, Katzen und Frettchen gilt, sind entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Tiere in Quarantäne sollten nicht mit anderen Tieren zusammengehalten werden. Es sollte ein separater Raum zur Verfügung stehen. Hunde sollten, wenn sie spazieren geführt werden, einen Maulkorb tragen. Das Tollwutrisiko wird zwar als gering eingestuft, aber es sollte keinesfalls außer Acht gelassen werden. Die Möglichkeit einer häuslichen Quarantäne für drei Wochen wurde eingeräumt, weil es sonst nicht machbar wäre, derart viele Hund und Katzen (und ggf. Frettchen) in Quarantäne zu haben. Das Berliner Tierheim hat keine Kapazitäten mehr.

Interview: Sophia Neukirchner

Anlagen: Hilfreiche PDFs der Senatsverwaltung (Rundschreiben Berliner Tierärztekammer 10.03.22) zum Umgang mit Haustieren aus der Ukraine


Weitere Links zu Hilfsmöglichkeiten für Menschen und Tiere in der Ukraine und auf der Flucht finden Sie in unserem Fokusthema

Eine Tiermedizinstudentin aus Hannover hat ebenfalls eine Online-Liste ins Leben gerufen, um TierärztInnen, DolmetscherInnen, Geflüchtete und Menschen, die eine Unterkunft anbieten können, deutschlandweit zu vernetzen: www.haustier-info-ukraine.de Die Plattform sammelt außerdem Infos zur Einreise etc. Alles in Deutsch, Englisch, Ukrainisch und Russisch. Lesen Sie hier die ganze Geschichte.