Im Tiermedizinstudium lernt man in der Theorie zunächst, für alle Tierarten da zu sein. Dass jeder Tierarzt* Nashorn wie Honigbiene später gleichwertig versorgen kann, ist natürlich nicht realistisch. Deshalb gibt es die Möglichkeit der beruflichen Qualifikation nach der Approbation. Dabei ist die Fortbildung von der Weiterbildung zu unterscheiden. Jeder Tierarzt hat mit Erlangung der Approbation eine Fortbildungspflicht, um auf dem neusten Stand des medizinischen Fortschrittes zu bleiben. Die Anzahl der Fortbildungsstunden, sogenannte „ATF“-Stunden, die im Jahr zu absolvieren sind, variiert. Für Tierärzte ohne weitere Spezialisierung sind das mindestens 20 ATF-Stunden pro Jahr. In welcher Form diese zu erbringen sind – etwa online oder Präsenz – regelt jede Tierärztekammer für sich. „ATF“ steht dabei für Akademie für tierärztliche Fortbildung, eine Tochterorganisation der Bundestierärztekammer, die vor mehr als 40 Jahren ins Leben gerufen wurde, um die Qualität der tierärztlichen Fortbildung zu sichern. Eine Fortbildung, die zur Erbringung der Fortbildungspflicht geeignet ist, muss also eine ATF-Anerkennung besitzen. Von der Fortbildung abzugrenzen ist die Weiterbildung, welche freiwillig ist und mit der man eine höherwertige Qualifikation erlangt. Die Fort- und Weiterbildungsordnungen variieren zwischen den einzelnen Tierärztekammern, auch wenn eine Harmonisierung auf Bundesebene vorangetrieben wird. In Deutschland gibt es die zumeist vierjährige Weiterbildung auf Ebene einer anerkannten großen Disziplin (bspw. Kleintierchirurgie, Rinder, Anatomie, Tierschutz), welche im Fachtierarzttitel zum Ausdruck kommt und auf Ebene von kleinen Gebieten (bspw. Augenheilkunde Kleintier oder Akupunktur), welche nach einer Weiterbildungszeit von zwei Jahren als Zusatzbezeichnung erlangt wird. Für beide Weiterbildungsarten ist geregelt, welche Leistung man erbringen muss, am Ende steht eine Prüfung.
Neben dem nationalen Weiterbildungsgang des Fachtierarztes gewann seit den 90er-Jahren eine europäisch harmonisierte Weiterbildung in der Tiermedizin an Bedeutung. Diese beginnt mit einem „Internship“ als mindestens zwölfmonatige Rotation durch die verschiedenen Abteilungen einer Weiterbildungsstätte. Dem schließt sich die drei- bis vierjährige „Residency“ als intensive Ausbildung unter Obhut eines „Diplomate“ des jeweiligen „College of Veterinary Medicine“ an. Nach erfolgreicher Leistungserbringung und Prüfung, steigt man selbst zum „Diplomate“ auf. Es gibt 27 europäische Colleges, in denen sich die Spezialisten des jeweiligen Fachgebietes länderübergreifend zusammenschließen, etwa das European College of Veterinary Surgery (ECVS) oder das European College of Bovine Health Management (ECBHM). Dem übergeordnet ist das European Board of Veterinary Specialisation (EBVS).
Jüngstes Mitglied der Weiterbildungsfamilie sind die veterinärmedizinischen Masterstudiengänge: Der dreijährige Master für Kleintiere (Master of Small Animal Science) und der Master für Pferdemedizin wird bereits seit mehreren Jahren an der Freien Universität Berlin angeboten. In diesem Wintersemester startet zudem der neue Masterstudiengang Tiergesundheitsmanagement (4 Semester) an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf bei München. Dieser soll dazu beitragen, den Landtierarztmangel zu bekämpfen. Durch die örtliche und fachliche Verschränkung der Agrarwissenschaften und Veterinärmedizin ist hier mit einer praxisorientierten Ausbildung in der Bestandsbetreuung im Wahlbereich Rind, Schwein oder Geflügel zu rechnen. Das Land Bayern unterstützt Nutztierinteressierte Tierärzte mit einem Stipendium. Alle Masterstudiengänge sind berufsbegleitend konzipiert, können aber auch alleinstehend absolviert werden.
Allgemein wurde in der Weiterbildung eine Spezialisierung auf eine Tierart in den letzten Jahren fokussiert, zunehmend gewinnt die weitergehende Spezialisierung auf ein Fachgebiet innerhalb einer Tierart an Bedeutung, beispielsweise Chirurgie oder Innere Medizin, sagt Prof. Stephan Neumann. Er ist Chef der Kleintierklinik an der Universität Göttingen und engagiert sich in leitender Position für die Weiterentwicklung und Harmonisierung tierärztlicher Fort- und Weiterbildung auf Bundeseben sowie als Vorsitzender des Ausschusses für Fort- und Weiterbildung der Tierärztekammer Niedersachsen. „Es ist nicht mehr so wie früher, dass ein Tierarzt alles macht“, das sagt auch Tierärztin Anne Mittmann. Sie hat sich für die Weiterbildung zur Fachtierärztin für Kleintiere entschieden und erklärt weiter unten, wie es dazu kam und wie dieser Weg konkret abläuft.
Neumann ist beides: Fachtierarzt (für Kleintiere und für Labordiagnostik), sowie Diplomate (im European College of Veterinary Clinical Pathology). Er sagt, beide Weiterbildungsgänge sind ziemlich gleichwertig, der Diplomate landläufig noch etwas höher angesehen, weil schwerer zu erwerben. „Am Anfang dachte man, der Diplomate würde den Fachtierarzt ablösen. Das ist so nicht eingetreten. Mittlerweile existieren beide Titel in Deutschland parallel.“ Wenn man nicht von Beginn an genau wisse, in welches Teilgebiet man möchte, habe man „die Qual der Wahl“. Zur Orientierung gibt er an die Hand, dass der Diplomate sich eher für diejenigen eigne, die in der universitären Laufbahn bleiben wollen; der Fachtierarzt hingegen für die zu empfehlen sei, die sich eher in der Praxis sehen.
Was man in die Überlegungen mit einbeziehen kann, ist, in welchem Land man später arbeiten möchte. Da der Fachtierarzttitel ein nationaler ist, könnte es im Ausland zu Schwierigkeiten mit der Anerkennung geben, wohingegen der Diplomate international anerkannt ist und dort auch absolviert werden kann. „Wenn man jedoch nur eine gewissen Zeit plant, im Ausland zu arbeiten, sollte es egal sein, schließlich nimmt man das Fachwissen in jedem Fall mit, wenn auch nicht den Titel.“
Für Unentschlossene sollte es zunächst die Spezialisierung auf eine Tierart sein, dann auf einen Fachbereich, wenn man noch möchte. „Eine Spezialisierung ist in jedem Fall zu empfehlen. Das ist die Zukunft. Man kommuniziert nach außen, dass man lange in einem Fachgebiet gearbeitet hat.“ Seiner Meinung nach ist eine Spezialisierung direkt nach dem Studium sinnvoll, da eine Weiterbildung etwa zum Fachtierarzt aus der eigenen Praxis heraus schwierig sein könnte und von manchen Kammern auch nicht unterstützt werde. „Das Fokussieren auf die Weiterbildung und das Durchhalten könnte in diesem Fall schwierig sein.“
Stephan Neumann liegt die Ausbildung, sowie die Fort- und Weitebildung tiermedizinscher Absolventen am Herzen. Er tritt seit vielen Jahren in den Bereichen Kleintier und Labordiagnostik als Prüfer und als geschätzter Vortragender auf, aktuell etwa in den E-Learning-Kursen der Akademie für Tierärztliche Fortbildung und Vetion.de zu „Consensus Statements für die Kleintiermedizin verständlich erklärt“ oder in „Operationen beim Kleintier“ (buchbar unter www.MyVetlearn.de) sowie im „Digitalen OP-Buch„.
Als Leiter der Kleintierklinik in Göttingen wirkt er auch in Personalentscheidungen mit. Eine fiktive Entscheidung zwischen zwei Bewerber, von denen einer einen Fachtierarzttitel und der andere einen Diplomate habe, könne er pauschal nicht in Abhängigkeit vom Titel treffen: „Für mich zählt die Qualifikation und das Wissen am Tier.“
Die Masterstudiengänge sieht er als exzellente Möglichkeit, Wissen anzuhäufen. Zum Beispiel könnte man die Veranstaltungen auch nutzen, um ATF-Stunden für die Fachtierarztausbildung zu sammeln. Ein weiterer Vorteil der Masterstudiengänge ist der Zugang zu den Publikationsdatenbanken und Bibliotheken der Universität. So ist die Erstellung einer Publikation einfacher, die man für die Fachtierarztausbildung nutzen könnte. „Ich frage mich nur, ob es noch einen weiteren Titel braucht. Das Ziel, dem Klientel auf einfachem Weg die Qualifikation des Tierarztes sichtbar zu machen gelingt schlechter, wenn es zu viele Titel nebeneinander gibt.“
Interview: „Ich möchte das beste medizinische Wissen für das Tier haben“
Anne Mittmann ist Tierärztin in der Gemeinschaftspraxis Dres. Kreher und Stamnitz in Bad Liebenwerda. Sie hat sich nach zwei Jahren praktischer Tätigkeit für die Weiterbildung zur Fachtierärztin für Kleintiere entschieden. Dass sie dabei in ihrer bisherigen Anstellung weiterarbeiten kann, sieht sie als großen Vorteil an.
Vetion.de: Wieso hast du dich für eine Weiterbildung entschieden?
Anne: Ich möchte über den Fachtierarzttitel zum Ausdruck bringen, dass ich viel Erfahrung in meinem Bereich habe und das auch abgeprüft wurde. So kann sich der Patientenbesitzer bei mir gut aufgehoben fühlen. Außerdem habe ich den Anspruch an mich selbst, dass ich dem Tier die bestmögliche medizinische Behandlung zu kommen lassen kann, weil ich das nötige Wissen dazu habe. Und da das immer mehr wird, muss man sich ohnehin immer weiterbilden. Ich halte es für notwendig, dass der Tierarzt sich spezialisiert. Es ist nicht mehr so wie früher, als einer alles machte.
Wie läuft die Weiterbildung zur Fachtierärztin ab?
Vor gut einem halben Jahr habe ich die Weiterbildung zur Fachtierärztin für Kleintiere bei meiner Landestierärztekammer beantragt. Dafür muss ich nun einen Leistungskatalog mit verschiedenen Fällen und Operationen erbringen, 160 ATF-Stunden absolvieren und zwei Publikationen erstellen. So wie ich das mache, heißt das „aus eigener Praxis heraus“. Das ist nochmal etwas langwieriger als in einer Weiterbildungsstätte, mindestens dauert es vier Jahre. Da es bei uns noch keinen Fachtierarzt für Kleintiere gibt, musste ich mir eine zur Weiterbildung ermächtigte Fachtierärztin als Mentorin außerhalb der Praxis suchen. Sie muss in jedem Fall gegenzeichnen, dass ich die erforderlichen Operationen und Fälle erledigt habe. Das Mentoring kann man ansonsten relativ frei gestalten. Wie genau, das spricht man mit der Kammer ab und hält es in einer Mentorenvereinbarung fest. Auf freiwilliger Basis fahre ich an einem meiner freien Tage im Monat zu ihr, um in ihrer Praxis zu hospitieren.
Wieso der Fachtierarzt und kein Diplomate, Doktor oder Master? Für wen würdest du das empfehlen?
Ich möchte eine Spezialisierung haben, mit der ich theoretisch und praktisch up to date bin. Da der Diplomate meist an die Uni gebunden ist, kam das für mich nicht in Frage. Über den Master für Kleintiere, den man auch berufsbegleitend machen kann, hatte ich zuerst nachgedacht, aber das wäre zu dem Zeitpunkt viel online gewesen und dafür sehr teuer. Außerdem ist mir die 1:1-Betreuung, die ich aktuell habe, wichtig. Aus finanziellen Gründen hatte ich mich nach dem Studium gegen eine Promotion entschieden. Der Fachtierarzt kostet mich nichts, ich kann meinen Job bei voller Stelle weitermachen. Daher wüsste ich nicht, für wen ich das nicht empfehlen würde.
Welche Schwierigkeiten siehst du bei dieser Art der Weiterbildung?
Die 500 Fälle voll zu kriegen, ist für mich mit Notdiensten kein Problem, ATF-Stunden bräuchte ich ohnehin; woran es jedoch bei vielen hapert, sind die Publikationen. Darin habe ich persönlich auch noch keine Erfahrung und natürlich auch keinen Doktorvater, der mich dabei unterstützt. Die Kammern haben in der Vergangenheit aber Kurse zum wissenschaftlichen Schreiben angeboten, die man belegen könnte. Wegen Corona war das ausgefallen. Bei manchen Fragen würde ich mir mehr Informationen der Kammer wünschen, etwa bei der Frage wie ich die Fälle datenschutzkonform dokumentiere. Insgesamt ist schon viel Eigeninitiative und Organisation gefragt.
Warum eine Spezialisierung nach Tierart und nicht nach Fachgebiet?
Eine weitere Spezialisierung in Richtung Innere Medizin oder Chirurgie schließe ich nicht aus, zunächst wollte ich für meine Tierart aber erstmal das große Ganze erfassen.
*Zur besseren Lesbarkeit wird die männliche Schreibweise verwendet, dies schließt alle Geschlechter ein.
Sophia Neukirchner
Dieser Text erschien im aktuellen Veti-Kalender 2021/22. Der exklusive Taschenkalender für Tiermedizinstudierende mit vielen nützlichen Zusatzinfos für die Klinik ist hier erhältlich.