Im Rahmen der Internationalen Grünen Woche in Berlin hat die Bundestierärztekammer (BTK) am Dienstag, 22.1.2019, eine Pressekonferenz zum Thema Qualzucht bei Nutztieren abgehalten. Die Medienvertreter wurden begrüßt vom Präsident der BTK, Dr. Uwe Tiedemann, der das Anliegen und die Bedeutung dieses Themas erklärte. Nicht nur Kleintieren können durch übertriebene Zuchtziele Schmerzen, Leiden und Schäden zugefügt werden, auch Nutztiere leiden unter einer Reihe von Produktionskrankheiten, die durch die gezüchtete Leistungssteigerung begünstigt werden.
Tierarzt verpflichtet
Die wirtschaftlich wichtigen
Körperfunktionen, wie z. B. die Milchleistung,
werden dabei so stark optimiert, dass die
extreme körperliche Belastung in vielen Fällen
zu gesundheitlichen Schäden sowie zu einer
verkürzten Lebensdauer führen. Daher haben BTK,
der Bundesverband praktizierender Tierärzte
(bpt), der Bundesverband der beamteten
Tierärzte (BbT), die Deutsche
Veterinärmedizinische Gesellschaft (DVG) und
die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz
(TVT) die neue Arbeitsgruppe (AG) „Qualzucht
bei Nutztieren" gegründet, die am 30. Januar
2019 konstituiert wurde. „Als Qualzucht
bezeichnet man bei der Züchtung von Tieren die
Duldung oder Förderung von Merkmalen, die mit
Schmerzen, Leiden, Schäden oder
Verhaltensstörungen für die Tiere verbunden
sind. Dies ist nach § 11b Tierschutzgesetz in
Deutschland verboten. Mängel in Haltung,
Fütterung und Management können die
züchtungsbedingten Probleme auslösen oder
verstärken", erläutert Tiedemann. „Die
deutschen Tierärzte sind durch ihre
Berufsordnung und durch ihren Ethik-Kodex
verpflichtet, zur Sicherung der Gesundheit und
des Wohlbefindens der Tiere beizutragen.
Insbesondere lehnen wir alle Maßnahmen ab,
durch die Tiere Leistungen erbringen sollen,
die ihre physische oder psychische
Anpassungsfähigkeit überfordern oder die
negative Konsequenzen für ihre Gesundheit
und/oder ihr Wohlbefinden haben", erklärt Dr.
Heidemarie Ratsch, Präsidentin der
Landestierärztekammer Berlin.
So können wir mit den Tieren nicht
umgehen
Prof. Dr. Holger Martens
von der FU Berlin hielt auf der Pressekonferenz
einen Literatur-basierten Vortrag über die
Zusammenhänge einer hohen Milchleistung und
sogenannten Produktionskrankheiten,
insbesondere Klauenproblemen. Er stellte fest,
dass drei Viertel der Tiere während einer
Laktation erkranken, die Hälfte von ihnen sogar
wiederholt, so dass die Erkrankungsrate bei 1,5
pro Tier und Laktation liegt. "Wenn nur 50
Prozent der Tiere krank sind, ist das nicht
mehr zu akzeptieren", so Martens. Nicht selten
würden Tiere bereits nach der ersten Laktation
aus der Produktion genommen. Dies sei sowohl
aus Tierschutz- als auch aus ökonomischer Sicht
eine Katastrophe. Martens: "So können wir mit
den Tieren nicht umgehen!"
Zucht zu einseitig auf
Leistungsparameter ausgelegt
Prof. Dr. Thomas Richter, Vorsitzender des
BTK-Ausschusses Tierschutz, schloss sich der
Meinung seines Kollegen an und berichtete über
die zuchtbedingten Probleme in der
Schweineproduktion. „Beim Schwein sind das die
Anzahl der Ferkel je Muttersau und Wurf bzw.
Jahr, die Anzahl der Geburten im Leben jeder
Muttersau und die tägliche Zunahme beim
Mastschwein. Jede dieser Körperfunktionen kann
zu tierschutzrelevanten Schäden führen, wenn
die Zucht zu einseitig auf Leistungsparameter
ausgelegt wird", so Richter. Das kann auch
durch gutes Management nicht ausgeglichen
werden. Laut
Tierschutznutztierhaltungsverordnung dürfen
Saugferkel unter 3 Wochen nur abgesetzt werden,
wenn es zum Schutz vor Schmerzen, Leiden oder
Schäden erforderlich ist. „Wird also
routinemäßig ein künstliches Ammensystem
verwendet, weil die Sau nicht alle Ferkel
versorgen kann, ist damit implizit zugestanden,
dass der Qualzuchtparagraph erfüllt ist", so
Richter weiter.
Umdenken in der Tierzucht
notwendig
Abschließend wurden
ein Umdenken in der Tierzucht sowie eine
Zuchtselektion für mehr Tiergesundheit und mehr
Tierwohl gefordert, denn aktuell hat die Zucht
landwirtschaftlicher Nutztiere als wichtigstes
Ziel, die wirtschaftlich wichtigen
Körperfunktionen zu optimieren. Weiterhin
müssten Aufklärung, Öffentlichkeitsarbeit und
Fortbildung zum Thema Qualzucht kontinuierlich
verfolgt und weiter ausgebaut werden.
Links / Literatur