Gesunde und nachhaltige Ernährung ist Sache der Politik und diese darf die Verantwortung für Tierwohl, die gesunde Ernährung der EU-Bürger:innen und die Umweltfolgen durch Massentierhaltung nicht auf die Verbraucher:innen abschieben. Dies ist das zentrale Ergebnis einer Beratungsgruppe aus internationalen Expert:innen, die im Auftrag der EU-Kommission seit September den Forschungsstand zum Thema Ernährungspolitik aufgearbeitet hat. Statt freiwilliger Maßnahmen der Nahrungsmittelindustrie, die nur geringe Erfolge zeigen, sollte die Politik die Probleme selber angehen. Geeignete Steuerungsmaßnahmen sieht die Kommission in geschickten Steueränderungen, der Einschränkung von Werbung für ungesunde Produkte und Maßnahmen für eine größere Verfügbarkeit von gesunden Nahrungsmitteln sowie verbindlichen Regeln für gesundheitskritische Inhaltsstoffe.
„Es geht hier nicht um die Bevormundung von Verbraucher:innen oder ein Verbot des Fleischessens. Was wir in einem interdisziplinären Team von 17 Forscher:innen renommierter europäischer Wissenschaftsinstitutionen zusammengetragen haben, ist der aktuelle Forschungsstand, wie wir eine Ernährungswende zum Positiven am besten hinbekommen“, so Prof. Dr. Linus Mattauch, Juniorprofessor für die nachhaltige Nutzung von natürlichen Ressourcen am Institut für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsrecht der TU Berlin. Die Verantwortung dafür könne nicht einfach den Bürger*innen aufgebürdet werden. In Umfragen stimme zwar ein sehr großer Teil der Menschen der Forderung nach besseren Haltungsbedingungen für Nutztiere zu. Trotzdem wird aber nur zu einem geringen Anteil Fleisch aus guten Haltungsbedingungen gekauft. Das zeige, dass die Hürden für eine Wende im Ernährungssystem vielschichtig und komplex sind. Darauf müsse die europäische Politik endlich mit geeigneten Maßnahmen reagieren.
„Schaut man sich Studien zur Wirksamkeit von freiwilliger Kennzeichnung von Nahrungsmitteln an, also die vielen unterschiedlichen Label der europäischen Nahrungsmittelindustrie, dann stellt man fest, dass sie die Kaufentscheidung nur wenig beeinflussen“, erklärt Mattauch. Mit Steuern könne man hingegen das Konsumverhalten und damit im zweiten Schritt das Verhalten der Industrie sehr gut steuern, so Mattauch, der sich hier auf erfolgreiche Initiativen verschiedener Länder beruft. Er erklärt dies, dass über eine geringere Nachfrage der notwendige Druck auf die Industrie aufgebaut werde, die Zusammensetzung ihrer Produkte zu ändern.
Aber auch eine Abgabe auf Fleisch, die in Deutschland für den Umbau von Ställen für artgerechtere Tierhaltung verwendet werden soll und im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition enthalten ist, würde sich der Experten-Kommission nach positiv auswirken. „Die Höhe der Abgabe könnte in Deutschland 40 Cent pro Kilo betragen, das dafür notwendige Gesetz wurde aber noch nicht beschlossen“, berichtet Mattauch. Ihre Effekte kämen nicht nur den Tieren zugute: Der hohe Fleischkonsum in Deutschland führt erwiesenermaßen zu Gesundheitsproblemen, vor allem bei verarbeiteten Produkten wie etwa Wurst. Zudem sind der Methanausstoß der Wiederkäuer sowie die Abholzung von Wäldern in Ländern des globalen Südens für die Produktion von Futtermitteln – auch für die Tierhaltung in Europa – relevante Treiber des Klimawandels. Die Beratungsgruppe geht von einem Anteil der Landwirtschaft von 10 Prozent am gesamten Ausstoß von Klimagasen in der EU aus. Zudem kann die Tierhaltung – wie etwa bei der Schweinehaltung in Niedersachsen – zu Nitrit- und Nitratbelastungen im Grundwasser führen. Eine Verteuerung von Fleisch und damit ein niedrigerer Fleischkonsum könnte diesen Problemen entgegenwirkten.