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bpt-Präsident Siegfried Moder über Systemrelevanz von Tierärzten, Telemedizin als Chance und ASP als Sorge in der Corona-Krise

19.03.2020

Dr. Siegfried ModerIch bete, dass die ASP nicht in dieser angespannten Situation ausbricht.“

Vetion.de: Lieber Herr Moder, Sars-CoV-2 hat Deutschland und die Welt fest im Griff. Die Verunsicherung in der Klein-, Pferde- und Nutztierpraxis ist groß. Aus diesem Grund haben Sie bzw. der Bundesverband der praktizierenden Tierärzte (bpt) gemeinsam mit anderen Institutionen der Tierärzteschaft einen Brandbrief an Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil geschrieben. Darin fordern Sie die Einstufung des tierärztlichen Berufes als systemrelevant. Was würde sich dadurch ändern?

Dr. Moder: Dadurch könnten Tierärztinnen und Tierärzte (im Falle einer Ausgangsperre, Anm. d. Red.) weiter ihrem Beruf nachgehen  und die Versorgung der Patienten aufrechterhalten. Nur so kann auch weiter die Aufgabe der Tierseuchenüberwachung und -bekämpfung sowie die Einhaltung des Tierschutzes und der Lebensmittelsicherheit gewahrt werden. Durch die Einstufung als systemrelevanter Beruf –  was wir übrigens auch für TFAs und TierpflegerInnen gefordert haben –wird zudem die Betreuung in den Kindergärten und Kitas ermöglicht. Dies würde für eine Entspannung der personellen Situation in den Tierarztpraxen sorgen.

Vetion.de: Ist damit zu rechnen, dass dabei Nutztierpraxen, Gemischtpraxen und Kleintierpraxen von der Politik gleichgestellt werden? Es gibt Gerüchte, dass nicht alle praktizierenden Tierärzte als systemrelevant eingestuft werden könnten.

Dr. Moder: Wir haben gegenüber den Verantwortlichen unsere Forderung, die Systemrelevanz grundsätzlich für alle Tierärzte anzuerkennen, noch einmal nachdrücklich bekräftigt, damit auch unsere Haustiere weiterhin bedarfsgerecht versorgt werden können. Ich gehe davon aus, dass unsere Forderung in Berlin Gehör finden und diese Ansicht in den nächsten Tagen von Seiten der Politik kommuniziert werden wird.

Ruhe bewahren!

Vetion.de: Was empfehlen Sie den Kolleginnen und Kollegen in diesen Tagen?

Dr. Moder: Ruhe bewahren! Vieles wird in den kommenden Tagen klarer werden. Ich hoffe zudem, dass wir in 2-4 Wochen zu einer gewissen Routine gefunden haben werden. Schließlich muss das Leben ja auch trotz Corona weitergehen, auch wenn uns dieses Virus noch viele Monate auf unerfreuliche Art begleiten wird.

Ich gehe davon aus, jeder in Kürze seine persönliche Handlungsoption finden wird; ob dies nun die Einführung einer Terminsprechstunde oder eines ausgeweiteten Notdienstes ist oder die Entscheidung fällt, die Praxis vorübergehend zu schließen. In diesem Fall ist jedoch eine Vertretung zu organisieren.

Wichtig ist, dass die allgemeinen Hygiene-Richtlinien eingehalten und in der Praxis auch an Personal und Klienten kommuniziert werden. Dazu gehört ein ausreichender Abstand zwischen den Klienten und zwischen Klienten, Tierarzt und Personal. Ebenfalls dazu gehört regelmäßiges Händewaschen, die Verwendung von Papierhandtüchern und Handschuhen.

Außerdem können die Tierhalter bereits am Telefon nach ihrem Gesundheitszustand oder ihrem Infektionsrisiko gefragt werden. Ist der Tierhalter krank, sollte er versuchen, dass jemand anderes mit dem Tier in die Praxis kommt, sofern der Besuch nicht zu verschieben ist. Routineuntersuchungen sollten zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Eine weitere Möglichkeit ist, dass das Tier vor der Praxis an das Personal übergeben und nach Vereinbarung wieder abgeholt wird. Hier sind der Kreativität kaum Grenzen gesetzt.

Vetion.de: Sie selber sind ja Inhaber einer Rinderpraxis. Wie managen Sie die Situation in der Praxis aktuell?

Dr. Moder: Wir versuchen weitestgehend auf physische Kontakte innerhalb des Praxisteams und mit den Landwirten zu verzichten. Alle Besprechungen und Patientenübergaben erfolgen beispielsweise fernmündlich, für das Bestücken der Apotheke im Praxiswagen haben wir einen speziellen Rhythmus eingeführt. Das A und O ist eine gute Hygiene und Desinfektion.

In größeren Praxen/Kliniken kann auch ein fester Schichtbetrieb eine gute Option sein. Auch in Hinblick auf eine mögliche Quarantäne.

Supergau ASP

Vetion.de: Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Situation in Hinblick auf hochansteckende Tierseuchen wie die Geflügelpest und die Afrikanische Schweinepest (ASP)?

Dr. Moder: Ich bete, dass die ASP nicht in dieser angespannten Situation ausbricht. Im Moment steht die Politik stark unter Druck und viele Politiker sind am Rande der Belastungsgrenze oder bereits überfordert.

Sollte dieses gefürchtete Szenario doch eintreten, muss rasch und beherzt gehandelt werden, um den Schaden für die Landwirte möglichst klein zu halten.

Zusammenhalt, Lernen, Umdenken und One-Health

Vetion.de: Wird sich die Tiermedizin/Tierärzteschaft durch diese Krise verändern?

Dr. Moder: Ich denke die Corona-Krise hat gezeigt, dass Tierärzte wichtig sind. Deshalb wird auch der Begriff One-Health wieder größere Bedeutung erlangen und wir haben die Chance, die Bedeutung des tierärztlichen Berufes in der Gesellschaft zu stärken sowie unsere Leistungen angemessen anerkennen und honorieren zu lassen. Außerdem wird auch die Telemedizin neu überdacht werden nach der Krise und die Möglichkeiten, die sie für Tierärzte, Tierhalter und Patienten bietet.

Persönlich wünsche ich mir auch nach der Krise mehr Zusammenhalt und Kollegialität unter den Kolleginnen und Kollegen zum Wohle unseres Berufsstandes und der Versorgung der Tiere. In jedem Fall werden wir aus dieser Krise lernen, sowohl fachlich als auch menschlich.

Wünschenswert wäre auch ein Umdenken in einigen Punkten, wie beispielsweise der Geiz-ist-geil-Mentalität oder „Das geht auch günstiger“.

Vetion.de: Vielen Dank Herr Moder. Das halte ich für einen guten Abschluss, der hoffentlich in Zukunft stärker und von vielen Akteuren beherzigt werden wird. Ich bedanke mich für das Gespräch. Bleiben Sie gesund. Abschließend möchte ich jedoch nicht versäumen, mich für Ihren Einsatz für die Tierärzteschaft und die Praktiker in dieser Krisenzeit zu bedanken!

Dr. Julia Henning