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Vetion.de im Interview mit Dr. Thomas Steidl

27.12.2019

Vetion.de: Lieber Herr Steidl, Sie geben Ihre Praxis nach nunmehr 37 Jahren auf. Was hat Sie dazu veranlasst und wie fühlen Sie sich dabei?

T. Steidl: Aufgrund glücklicher Umstände, u.a. Kurzschuljahre, war ich bereits mit 23 Jahren Tierarzt. Nicht nur als Tierarzt sollte man dann aufhören, wenn man es selber bestimmen kann. Da ich zusammen mit meiner Familie und meinem Praxispartner die Entscheidung selber getroffen habe, fühle ich mich bei der Entscheidung sehr gut.

Haben Sie die Ziele erreicht, die sie sich einst vorgenommen haben?

Thomas Steidl

Strenggenommen nein: Nach dem Studium wollte ich immer Pferdepraktiker in Norddeutschland werden. Jetzt war ich 37 Jahre in der Kleintiermedizin in Süddeutschland tätig, was mir sehr viel Freude gemacht hat. Der tierärztliche Beruf ist sehr breit aufgestellt und man sollte am Anfang des Berufslebens nach allen Seiten offen sein. Außerdem wollte ich immer versuchen, Praxis und Familie irgendwie unter einen Hut zu bringen. Ich glaube, dass ich das zum größten Teil erreicht habe. Jedenfalls nach Aussage meiner Kinder, von denen keines Tiermedizin studiert hat.

Wie haben Sie Ihre Nachfolge geregelt?

Ich glaube, dass die Nachfolgeregelung in jedem Beruf frühzeitig und schlau in die Wege geleitet werden muss, wenn es für alle Beteiligten vorteilhaft verlaufen soll – egal ob in einem Handwerksbetrieb oder in einer Arztpraxis. Die Vorbereitung dieses Übergangs ist heute sehr viel wichtiger als noch vor 15 Jahren. Mein langjähriger Praxispartner und ich haben bereits vor Jahren auch mit externer Unterstützung einen Übergabevertrag geschlossen, bei dem wir uns beide in die Augen schauen können.

Werden Sie sich jetzt komplett aus der Veterinärmedizin zurückziehen oder der Veterinärmedizin anderweitig erhalten bleiben?

Aus der Praxistätigkeit ja, da mache ich jetzt einen Schnitt. Mein Interesse gilt nach wie vor der Berufspolitik. Ich bin noch für einige Jahre als Präsident der Landestierärztekammer Baden-Württemberg im Amt, bin Chefredakteur einer Fachzeitschrift und habe mich in den letzten Jahren vermehrt mit Gerichtlicher Tiermedizin beschäftigt. Neben Gerichtsgutachten steht noch die Herausgabe eines Fachbuchs auf dem Programm, ebenso die Organisation von Fortbildungsveranstaltungen für die ATF.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Für mich persönlich natürlich, dass ich noch möglichst lange zusammen mit meiner Familie und meinen Freunden fit und aktiv sein kann. Aber da dies nicht in meiner Hand liegt, bin ich froh und dankbar an jedem Tag.

Für uns als „Beruf“ wünsche ich mir mehr Selbstbewusstsein. Wir arbeiten auf hohem Niveau für die Gesundheit der Tiere, den Tierschutz und den Verbraucherschutz. Wir sind keine Adnexe der Landwirtschaft, die uns schon lange nicht mehr als gleichwertigen Partner versteht, sondern arbeiten als Heilberuf am „one-world-on health“-Konzept mit. Die kommenden Probleme wie multiresistente Erreger und Zoonosen lassen sich nur zusammen mit uns Tierärztinnen und Tierärzten lösen.

Als tierärztlicher Beruf werden wir von der Politik schon lange nicht mehr beachtet: Die aktuelle Entwicklung wie z.B. bei der Ferkelkastration und insbesondere der Verzicht auf den Narkosevorbehalt für den Tierarzt, belegen dies. Nur im Konzert mit den anderen Heilberufen haben wir eine Chance, wahrgenommen zu werden und auf die fake news hinzuweisen.

Was ist in Ihren Augen das dringendste Problem in der Veterinärmedizin bzw. unseres Berufsstandes, das wir angehen müssen?

Ein großes Problem, das mittelfristig auf uns zukommt, ist die flächendeckende Versorgung im Notfalldienst. Die Ursachen für dieses Problem sind vielschichtig. Patentlösungen gibt es nicht und Lösungen müssen immer direkt vor Ort gefunden werden. Die Versorgung der Tiere im Notfall ist auch eine Frage des Tierschutzes, der bei uns im Grundgesetz verankert ist. Das kann aber nicht bedeuten, dass die Realisierung des flächendeckenden Notfalldienstes nur auf dem Rücken der Tierärzteschaft geladen wird – Politik und Gesellschaft sind hier mit in der Pflicht.

Wie kann man dem viel beklagten Tierärzte-Mangel Ihrer Meinung nach begegnen?

Uns allen ist klar, dass wir seit vielen Jahren für die Zulassung zum Studium die falschen Kriterien heranziehen. Der Abiturdurchschnitt alleine sagt nicht darüber aus, ob man ein guter Arzt oder eine gute Tierärztin wird. Berufsorientierende Vorqualifikationen müssen vermehrt bei der Zulassung berücksichtigt werden. Hierzu könnte auch gehören, dass ich mit einem schlechteren Abischnitt zum Studium zugelassen werde, wenn ich mich verpflichte, nach dem Studium als Landtierarzt zu arbeiten.

Was bedeutet für Sie Digitalisierung in Bezug auf die Veterinärmedizin? Welche Herausforderungen kommen hier auf den Berufsstand sowie auf die einzelnen Kollegen zu?

In der Digitalisierung stecken wir doch alle bereits tief drin, egal ob wir in den Universitäten oder Forschungseinrichtungen, der Privatpraxis oder der Veterinärverwaltung arbeiten. Die Bereitschaft des Berufsstandes, sich digital einzubringen, ist sehr groß. Das Problem sind weniger schnelle Datenautobahnen als die Versorgung vor Ort. In unserer Praxis konnten wir seit 6 Wochen nicht auf das Internet zugreifen, weil sich die IT-Beteiligten uneins waren, bei wem es klemmt. Auch in puncto Datensicherheit hinken wir hinterher. Eine deutsche veterinärmedizinische Hochschule wurde offensichtlich durch einen Hacker für längere Zeit auf Eis gelegt.

Ist das Studium/Ausbildung noch zeitgemäß oder muss es angepasst werden an die neuen Herausforderungen?

In den vergangenen Jahren ist es schick geworden, auf das Studium zu schimpfen und es für unzeitgemäß zu erklären. Dabei denkt jeder, der schimpft, nur an seinen eigenen Sandkasten, weil er meint, dass sein Fach das wichtigste ist und zu kurz kommt. Die jungen Leute, die zu uns in die Praxis kommen, sind in der Regel gut ausgebildet. Praktische Fähigkeiten müssen natürlich vorderhand in der Praxis vertieft werden. Das muss jedoch auch den Absolventen klar sein, dass sie noch nicht direkt im ersten Jahr erwarten können, komplizierte Eingriffe durchzuführen.

In unserem Beruf – wie in jedem anderen Beruf – ist jeder für das verantwortlich,was er lernen und beherrschen möchte – Eigenverantwortlichkeit und Eigeninitiative sind wichtig, nicht die Diskussion um den besten Nürnberger Trichter!

Würden Sie Ihren Kindern empfehlen, Veterinärmedizin zu studieren und wenn, mit welcher Zielsetzung?

Ja, wenn sie sich vorher über den Beruf informieren und sich fragen, ob dies ein Beruf ist, in dem sie auch die nächsten 40 Jahre glücklich sein können. Die Zielrichtung spielt keine Rolle – unser Beruf hat viele tolle Facetten!

Was möchten Sie den Kolleginnen und Kollegen mit auf den Weg geben?

Diese Frage klingt aber ganz schön pastoral. Tierärztinnen und Tierärzte bilden einen normalen Querschnitt der Bevölkerung ab. Ich glaube auch nicht, dass man hier spezielle Dinge „auf den Weg geben sollte“. Das „Mensch zu sein“ gilt auch für die Kolleginnen und Kollegen in meiner Nachbarschaft und dieses „Mensch sein“ kommt wie ein Bumerang zurück – wie übrigens auch das „Nicht Mensch sein“.

Vielen Dank Herr Steidl und alles Gute für die Zukunft!